Ein Foto muss scharf sein! Das stimmt natürlich grundsätzlich – aber wer sagt, dass das Foto überall – von der linken unteren bis zur rechten oberen Ecke – scharf sein muss? Eigentlich ist es genau andersrum: ein Bild, das sowohl Schärfe als auch Unschärfe zeigt, wirkt um einiges interessanter und hält das Auge des Betrachters länger fest.
Natürlich ist es wichtig, dass der Star auf dem Foto scharf abgelichtet ist. Das ist bei Foodfotografien der Hauptbestandteil des Tellers: ein Stück Fleisch, der Anschnitt des Kuchens, die Kirsche auf dem Cocktail. Bei anderen Fotografien ist es etwa eine Blume, ein Gesicht etc.
Wenn wir uns auf Foodfotos konzentrieren, geht es also darum, einen Star auch als solchen zu präsentieren. Welcher Bereich rund um diesen Star auch noch wichtig ist, bestimmst du selbst – und zwar insofern, dass du entweder mehr oder weniger rund um den Star auch noch scharf zeigst.
Was bewirkt Schärfe und Unschärfe beim Betrachter?
Es klingt zwar banal, aber ein scharfer Bereich im Foto erleichtert uns das Ansehen. Das Auge wird automatisch dorthin gelenkt, wo es hinsehen soll. Vielleicht kennst du das auch – bei manchen Bildern mit viel scharfem Inhalt wird die Unklarheit richtig deutlich. Man sucht von links nach rechts und wieder zurück und sich fragt, was das Bild aussagen möchte. Kann man hingegen den Fokus sofort erfassen, wirkt das angenehm. Die unscharfen Bereiche im Foto wecken dann zwei wichtige Eigenschaften der Menschen: Neugierde und Phantasie. Je nachdem, wie stark die Unschärfe ist, wird der Betrachter (unbewusst) angeregt, Elemente zu erkennen oder zu erahnen.
4 Ideen zum Einsetzen von Unschärfe
So kannst du den Unterschied zwischen Schärfe und Unschärfe gut einsetzen: einerseits sind es Möglichkeiten für den bewussten Fokus auf das Wichtigste, andererseits (seien wir uns ehrlich) ist es auch eine wirklich gute Möglichkeit zum Kaschieren.
Zutaten
Ein Foodfoto zu füllen ist keine leichte Aufgabe. Es kann zwar als Stilelement bewusst viel freie Fläche geben, aber in den meisten Fällen möchte man den freien Raum rund um den Star füllen. Eine Möglichkeit zum Freiraum-Füllen sind Zutaten. Beispiele: bei Gebackenem könnte es ein Eierkarton oder Eierschale sein, bei herzhaften Gerichten ganze Stücke vom verwendeten Gemüse. Diese Nebendarsteller bildest du am Foto unscharf ab – sie werden trotzdem wahrgenommen, das ist gewiss.
Der Eierlikör im Hintergrund lässt den Geschmack der Creme erahnen. Durch die Kürbisse im Hintergrund wird unterstrichen, dass der Teig mit Kürbispüree zubereitet ist.
Mehrere gleiche Elemente
Um ein Foto mit einigen gleichen, kleineren Hauptdarstellern interessant zu gestalten, eignet sich die Unschärfe auch sehr gut. Beispiele sind: viele gleichförmige Kekse, kleine Küchlein, Mini-Pizzen, kleine Suppenschalen,… Eines dieser Elemente zeigst du scharf, die anderen verschwinden in der Unschärfe. Eine Ausnahme wiederum ist es, wenn du es als besonderes Styling einsetzen möchtest, die vielen gleichen Elemente etwa als Muster zu legen und Top down (von oben) abzulichten.
Mehrere gleiche Kuchen – der vierte ganz oben mittig im Bild ist nur erahnbar. Wenige scharf gezeigte Kekse im Vordergrund genügen.
Ugly food
Auch wenn alles (oder fast alles) ziemlich lecker schmeckt, gibt es tatsächlich so etwas wie Ugly food – dem werde ich wohl einmal einen eigenen Beitrag widmen. Risotto oder Porridge sind Beispiele für Gerichte, die de facto – wenn sie nicht mit viel Liebe und Können schön angerichtet werden – schnell unappetitlich ausschauen, sei es wegen ihrer Farbe oder wegen der Konsistenz. Es schafft oft Abhilfe, hier mit Unschärfe zu arbeiten. Ein schönes Topping auf dem Porridge, eine farbenprächtige Frucht etwa, kann scharf abgebildet werden – inklusive einem kleinen Teil der Porridgeschüssel. Den Rest des Porridges stellst du bewusst unscharf. Es wird trotzdem dem Betrachter vermitteln, was es soll.
Dass die Eiscreme im Glas schon zu schmelzen beginnt, verschwindet hinter dem Glas und in der Unschärfe. Das Topping ist der Star, denn das Panna Cotta an sich ist wenig modelhaft, wenngleich superlecker.
Accessoires ersetzen
Kein Foodfotograf, vor allem im Amateurbereich, hat Schränke voll Accessoires zuhause. Wird ein Bereich im Foto bewusst unscharf gestellt, so ist es gar nicht mehr so wichtig, ob das Glas, der Salzstreuer etc. genau zum Setting passt. Es macht dennoch einen großen Unterschied, ob der Raum dort leer bleibt oder mit einem kaum erahnbaren Gegenstand gefüllt wird. Go for it – stelle dort ein Element ab, auch wenn es scharfgestellt nicht ganz zum Set passen würde.
Hinten rechts zwei farbig passende Bücher, die gänzlich unpassende Beschriftungen am Buchrücken haben – es sind Romane. Bunte Blätter (ehrlich – wer hat schon Blätter am Esstisch liegen?) sorgen im oberen Bildteil unkenntlich für Farbe.
Viel Freude beim Umsetzen! Auf deine Meinung zum Thema, Fragen und Diskussion im Kommentarbereich freue ich mich!